Leserechtschreibstörungen treten überdurchschnittlich häufig bei Kindern auf, die im Vorschulalter von einer Sprachentwicklungsstörung betroffen waren. Dies ist kein Zufall, denn für den Erwerb des Lesens und des Schreibens benötigen Kinder differenzierte Fähigkeiten der Sprachwahrnehmung. Und so können die gleichen Sprachverarbeitungsprobleme, die die Sprachstörung ausgelöst haben, im Grundschulalter zu einer Leserechtschreibstörung führen. In diesem Artikel erfahren Sie, warum Sprachentwicklungsstörungen häufig zu Leserechtschreibstörungen führen, und wie man Kinder auf ihrem Weg in die Schriftsprache unterstützen kann.
Warum Leserechtschreibstörungen und Sprachentwicklungsstörungen zusammenhängen
Kinder, die von einer Sprachentwicklungsstörung betroffen sind, haben eine zugrundeliegende Verarbeitungsstörung sprachlicher Informationen. Im Vorschulalter fallen diese Kinder durch eine langsame Wortschatz- und Grammatikentwicklung und eine schwer zu verstehende Aussprache auf. Im Rahmen einer logopädischen Sprachtherapie lassen sich diese Defizite der Lautsprache häufig soweit behandeln, dass die Sprachentwicklung mit Ende der Kindergartenzeit häufig überwunden scheint. Dennoch zeigen sich bei vielen dieser Kindern bei einer gezielten Sprachdiagnostik Defizite in der Hörwahrnehmung.
Basiskompetenzen für den Schriftspracherwerb: die phonologische Bewusstheit
Am Ende der Vorschulzeit lernen Kinder, dass Wörter aus Lauten bestehen, dass mit den Buchstaben Symbole für Laute existieren, dass Wörter aus Silben bestehen oder dass sich Wörter reimen können. Sie lernen in dieser Zeit, Silben zu klatschen, Reime zu finden und erste Buchstaben zu erkennen und zu schreiben. Damit haben sie gelernt, ihre Aufmekrsamkeit auf die formalen Aspekte der Sprache zu lenken. Diese Fähigkeit, die wir phonologische Bewusstheit nennen, ist sehr bedeutsam für das Lesen- und Schreibenlernen und sie zählt daher zu den Basiskompetenzen für den Schriftspracherwerb.
Wenn Kinder Defizite in der phonologischen Bewusstheit haben, dann fallen ihnen die folgenden Aufgaben schwer.
- Unterscheidung ähnlich klingender Laute
- Reime erkennen, Reime bilden
- Zusammenzufügen von Lauten zu Wörtern
- Wörter zerlegen ind Silben
- Wörter zerlegen in Laute
- Kurzzeitgedächtnis /Hörmerkspanne / Arbeitsspeicher
Leserechtschreibstörungen als Folge einer Sprachentwicklungsstörungen
Wenn Kinder in die erste Klasse kommen, dann haben sie den Lautspracherwerb weitgehend abgeschlossen. Die nun folgende sprachliche Herausforderung der ersten vier Grundschuljahre besteht darin, Lautsprache in Schriftsprache umzuwandeln (beim Schreiben) und umgekehrt (beim Lesen). In der ersten Klasse lernen sie einige wichtige Gesetzmäßigkeiten, z.B.:
- Verknüpfung von Lauten und Buchstaben (Phone-Graphem-Korrespondenz):
(Fast) jedem Laut, den wir sprechen, entspricht ein Buchstabe (Graphem). Das Kind lernt im ersten Schulhar alle Buchstaben kennen und diese mit dem entsprechenden Sprachlaut zu verknüpfen. - Zusammenfügen von Lauten zu Wörtern (Lautsynthese):
Indem wir einzelne Laute miteinander Verbinden, entstehen Silben und Wörter. Diese Fähigkeit benötigen wir vor allem beim Lesen. - Wörter können in einzelne Laute zerlegt werden (Analyse):
Gesprochene Wörter können in einzelne Laute zerlegt werden. Diese Fähigkeit benötigen wir vor allem beim Schreiben.
Auch wenn uns Erwachsenen das Lesen- und Schreibenlernen häufig banal erscheint, ist der Erwerb der Schriftsprache für Kinder eine sehr herausfordernde Aufgabe. Sie benötigen dafür ein hohes Maß an Aufmerksamkeit und sprachlicher Fertigkeiten. Dass sprachauffällige Kinder bei dieser Aufgabe mit größeren Problemen zu kämpfen haben als Kinder mit normaler Sprachentwicklung ist aus logopädischer Sicht nicht verwunderlich sondern erwartbar. Daher
Phonologische Bewusstheit im Kindergarten fördern
Aus den oben genannten Gründen sollten sprachauffällige Kinder beim Übergang in die Grundschule möglichst intensiv in der phonologischen Bewusstheit gefördert werden, um der Entwicklung einer Leserechtschreibstörung vorzubeugen. Das Trainingsprogramm „Hören, Lauschen, Lernen“ steht seit vielen Jahren zur Verfügung und wird in vielen Kindergärten als Gruppentraining eingesetzt. Am Ende der Kindergartenzeit empfehlen wir außerdem die Durchführung einer logopädischen Diagnostik der phonologischen Bewusstheit. Seit 2020 steht dafür mit dem „LRS-Screening“ ein spezielles Testverfahren zur Verfügung.